Sektion 7: Rechtschreiben lernen und lehren: Fachdidaktische Perspektiven auf ein viel diskutiertes Politikum

Seminarraum 3

Moderatorinnen: Barbara Geist (PH Freiburg), Sarah Jagemann (Bergische Universität Wuppertal)

Kaum ein anderer Lernbereich des Deutschunterrichts wird mehr in der Öffentlichkeit diskutiert und bildungspolitisch reglementiert als der Rechtschreibunterricht: Normative Erwartungen werden an die rechtschriftlichen Leistungen der Schüler:innen herangetragen, diese als universeller Gradmesser von Bildung verstanden, die Leistungsfähigkeit des Deutschunterrichts in Gänze an diesen gemessen, abnehmende Rechtschreibkompetenzen mit Kulturverlust gleichgesetzt sowie Unterrichtskonzepte verurteilt und verboten. Der hitzige und oft unreflektierte öffentliche und bildungspolitische Diskurs wird der Komplexität des Lerngegenstands sowie des Unterrichts jedoch nicht gerecht. Diesem Diskurs steht – so zeigen es die Beiträge in dieser Sektion – eine fachdidaktische Forschung gegenüber, deren Erkenntnisinteresse am Verstehen dieser Lern-Lehrprozesse ausgerichtet ist und damit das Potenzial zur Versachlichung des Diskurses bereithalten würde – leider aber viel zu selten öffentlich gehört wird. Fachdidaktische Forschung zum Rechtschreiblernen und -lehren beschreibt Bedingungen, Entwicklungsprozesse und Kontexte, sucht nach empirischer Evidenz, ist fachlich fundiert und berücksichtigt die Komplexität der Handlungsprozesse fernab von pauschalen Zuschreibungen. 

Mit Schrift als systematisch beschreibbarem Lerngegenstand rücken gegenstandsimmanente Fragestellungen in den Mittelpunkt: Welchen Einfluss haben Schriftstrukturen und ihre Systematik auf die Lern- und Lehrprozesse? Wie kann die Systematik des Gegenstandes für die Erfassung und Beschreibung dieser Prozesse herangezogen werden? Wie können gegenstandsimmanente Einflüsse auf die schriftbezogenen Handlungen beschrieben werden? Welchen didaktischen Wert hat die beschreibbare Systematik des Gegenstandes und wie wird sie genutzt? 

Der Blick auf die Lernenden verweist auf die Komplexität der Lernprozesse: Wie erschließen sie sich den Lerngegenstand? Wie können die impliziten und expliziten Lernprozesse, die schriftlichen Konstruktionsleistungen und Regelbildungsprozesse erfasst und beschrieben werden? Welche schriftsprachlichen Erwerbsverläufe können didaktisch modelliert und rekonstruiert werden? Welche Ressourcen bringen Kinder und Jugendliche für die schriftbezogenen Lernprozesse mit? Welche Konsequenzen haben schwache Rechtschreibleistungen für die Lernenden? Wie kann man sie in ihren Erwerbsprozessen besser unterstützen?

Den Lehrenden kommt dabei eine essentielle Schlüsselrolle in der Vermittlung zwischen Lerngegenstand und Lernenden zu. Ihre Kompetenzen und Handlungsweisen besser zu verstehen, ist zentral: Welches Wissen ist für Lehrende handlungsleitend? Wie sprechen sie über und wie vermitteln sie den Lerngegenstand Schrift? Welche didaktischen Artefakte nutzen sie und wie bewerten sie diese? Welche Chancen und Herausforderungen können für ihre Professionalisierungsprozesse beschrieben werden?

Diesen Fragen zum Rechtschreiblernen und -lehren werden wir in der Sektion nachgehen. Die Beiträge sind dabei methodisch und in ihren Fokussen vielfältig, gemeinsam ist ihnen ein im Kontext des Rechtschreibunterrichts verortetes Erkenntnisinteresse.


Montag, 19.9.2022
10.15-10.30 Einführung durch die Moderator:innen
10.30-11.15 Dorothea Kusche: (De-) Professionalisierungsmomente. Erste Befunde einer qualitativ-rekonstruktiven Studie zum handlungsleitenden Wissen von Rechtschreiblehrenden
11.15-12.00 Chantal Knips: Rekonstruktion lehrerseitiger Konzeptualisierung von Aufgaben zum morphematischen Prinzip im Rechtschreibunterricht zweiter Klassen
14.00-15.30 siehe Vorträge in Sektion 5 „Inklusion und Umgang mit Heterogenität“

Dienstag, 20.9.2022
10.15-11.00 Franziska Bormann / Sarah Jagemann / Swantje Weinhold: (Ko-) Konstruktionen im Schriftsprachunterricht (KoKonS): Ein Modell zur deskriptiven Analyse schriftsystembezogenen Handelns
11.00-11.45 Melanie Bangel: Zum lehrer- und schülerseitigen Gebrauch von Stützformen zur Erschließung grundlegender orthographischer Baumuster
11.45-12.30 Laura Drepper / Elvira Topalović: Multiple Perspektiven auf Doppelkonsonanzschreibungen in der Grundschule: Qualitativ-quantitative Zugänge zu Erwerbsverläufen und Vermittlungsprozessen
14.00-14.45

Beate Lütke / Milena Kühnast: Erklärfähigkeiten von Grundschullehramts-studierenden des Faches Deutsch – metalinguistisches Wissen und Registerflexibilität

14.45-15.30 Jan T. Röhrig: Rekonstruktion orthografischen Wissens von Grundschüler:innen im Rechtschreibprozess: Eine explorative Studie zu Rechtschreibentscheidungen in den Bereichen Vokalquantität und Morphologie

Mittwoch, 21.9.2022
10.15-11.00 Katinka Mangelschots / Constanze Weth / Sonja Ugen: Schreiben und Erkennen von Nomen bei leistungsschwachen und leistungsstarken Schüler(inne)n im Vergleich.
11.00-11.45

Iris Rautenberg / Stefan Wahl / Alicia Hückmann / Vanessa Siegel: Welche sprachstrukturellen Faktoren beeinflussen die Großschreibleistung von Schüler*innen im Deutschen?

11.45-12.30 Abschließende Diskussion
14.00-15.30

siehe Vorträge in Sektion 2 „Das Politische in der Sprachdidaktik: Sprache – Macht – Normen“

 Abstracts der einzelnen Vorträge