Sektion 1: Politische Dimensionen der Deutschdidaktik

Moderator:innen: Matthis Kepser (Universität Bremen), Sabine Zelger (KPH Wien/Krems)

Hörsaal 31

Der Deutschunterricht ist – wie kaum ein anderes Fach – von politischer Einflussnahme betroffen. Seine Geschichte wurzelt in der Entstehung der Nationalstaaten, deren Selbstverständnis wesentlich durch die jeweils geltenden Amts-, Gerichts- und Schulsprachen geprägt wurde und wird. Kenntnis und kompetenter Gebrauch der legitimierten Sprache(n) sind folglich unumgänglich für politische und kulturelle Teilhabe. Daneben wird nationale Identität über Kultur konstruiert und der Staat baut auch bei dieser Homogenisierung ausgiebig auf sein Monopol, nicht nur physische, sondern auch symbolische Gewalt einzusetzen (vgl. Bourdieu). Die Wirkung im Bildungssystem und ganz besonders im Deutschunterricht ist immens. 

Die noch junge Universitätsdisziplin der Deutschdidaktik war sich dieser Stellung und Verantwortung des Faches durchaus bewusst. Seit Mitte der 1980er Jahre ist aber – parallel zur Verabschiedung der 1968er Bewegung – ein deutliches Erlahmen politischer Fragestellungen zu bemerken. Häufig wird der historischen Dimension deutschdidaktischer Forschungsfelder kein eigenes Kapitel mehr in einschlägigen Einführungen gewidmet; politische Implikationen werden, wenn überhaupt, nur en passant erörtert.  Mit der Hinwendung zur Empirie scheinen Dimensionen des Politischen auch vernachlässigbar, denn Forschung hat einem szientistischen Selbstverständnis folgend nicht Politik zu machen, sondern allenfalls evidenzbasiert Politik zu beraten. Eine solche Haltung ignoriert aber, dass alle deutschdidaktischen Fragestellungen mit politischen Normentscheidungen untrennbar verbunden sind und bewusst oder unbewusst politische Wirksamkeit entfalten. Dem muss die Disziplin mit vermehrten Anstrengungen zur Selbstreflexion entgegenwirken.

In dieser Sektion werden Beiträge vorgestellt, die sich teildisziplinübergreifend mit deutschdidaktischen Dimensionen des Politischen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auseinandersetzen. Ziel der Sektion ist es zu erörtern, wie sich Politik und das Politische in der Deutschdidaktik konstituieren, um deren Potenzial bzw. Gewalt sichtbar zu machen und zu diskutieren. Dazu präferieren wir einen weiten Politikbegriff, der nicht nur Institutionen und dezidiert politische Interventionen und Aktivitäten umfasst, sondern auch das Politische als menschliches Strukturprinzip und Subjektivierungsweise inkludiert. Es geht also um Fragen der Gesellschaft und Gerechtigkeit, Ökonomie und Gleichheit, Wissen und Macht, um Diskurse und Praktiken.

Entlang historischer Perspektiven gehen wir der Deutschdidaktik als Player des Nationalstaats nach, entlang gegenwärtiger Diskurse hinterfragen wir Deutschdidaktik als neoliberale und postkoloniale Akteurin. Weitere Vorträge fokussieren Leitlinien und Verordnungen der Politik, die den Deutschunterricht auf je spezifische Weise rahmen und zurichten, aber auch Engagement und Politikabstinenz des hegemonialen Fachdiskurses stehen zur Diskussion. Nicht zuletzt wird die Politisierung der Deutschdidaktik über die Politik als Gegenstand des Deutschunterrichts in den Blick genommen und als Arbeit an historischen Ereignissen, gegenwärtigen Verschwörungstheorien und Fragen der Zukunftsfähigkeit gelesen.


Montag, 19.9.2022
10.15-10.30 Einführung durch die Moderator:innen

Deutschdidaktik im Nationalstaat: historische Perspektiven

10.30-11.15 Hendrick Heimböckel: Die politischen Implikationen des literarischen Verstehens in der „Encyklopädie des gesammten Erziehungs- und Unterrichtswesens“ (1859–1878) sowie in den österreichischen und preußischen Lehrplänen (1849, 1856, 1859)
11.15-12.00 Stefan Born / Michael Kämper-van den Boogaart: Erlebnis versus Erklärung: Die Kontroverse zwischen Havenstein und den Deutschkundlern in der Weimarer Republik
12.00-12.45 Christian Dawidowski / Florian Eickmeyer: Die nationale Politisierung des Deutschunterrichts am Beispiel der Islamdarstellung im Kaiserreich. Ergebnisse der DH-Forschung in der Literaturdidaktik

Deutschdidaktik jenseits der Nationalstaatlichkeit: gegenwärtige Diskurse

14.00-14.45 Magdalena Kißling: Postkolonialismus und Lehrwerke. Zur kulturpolitischen Funktion von Lehrwerken im Literaturunterricht
14.45-15.30 Emmanuel Breite: Von der Verfügbarmachung der Literatur. Literaturdidaktik im Zeichen des neoliberalen Spätkapitalismus
15.30-15.45 Bei Bedarf: Zusätzliche und abschließende Diskussion

Dienstag, 20.9.2022

Politische Player und Deutschdidaktik

10.15-11.00 İnci Dirim: Die zweischneidige Politik des Österreichischen Deutsch
11.00-11.45

Michael Bruneforth / Ilka Fladung / Marcel Illetschko / Jörg Jost / Michael Krelle / Veronika Österbauer: Die iKMPLUS im Spannungsfeld von Deutschdidaktik, empirischer Bildungsforschung und Bildungspolitik

Deutschdidaktik als politischer Player

14.00-14.45 Vesna Bjegač / Doris Pokitsch / Nina Simon: Involviert, engagiert, (a)politisch? Eine wissenssoziologische Annäherung an das Politische der Didaktik Deutsch
14.45-15.30 Kirsten Schindler: Geschlechtergerechte Sprache in der Schule – eine kritische Analyse von Abituraufgaben
15.30-15.45 Bei Bedarf: Zusätzliche und abschließende Diskussion

Mittwoch, 21.9.2022

Arbeit an der Vergangenheit und Gegenwart im Deutschunterricht

10.15-11.00 Anja Ballis / Iris Kruse: „Was hat der Holocaust mit mir (noch) zu tun?“ – Eine Hermeneutik des Fragens als Beitrag des Deutschunterrichts zu einer sich wandelnden Erinnerungskultur
11.00-11.45

Susanne Drogi / Kirsten Kumschlies: Über Vergangenes und Gegenwärtiges sprechen – Rezeptionseindrücke von Grundschüler*innen zum Film Fritzi – Eine Wendewundergeschichte

1145.-12.30

David Gerlach / Peter Schildhauer / Kristin Weiser-Zurmühlen: Wissen und Wahrheit – Perspektiven von Lehrkräften auf die Thematisierung von Verschwörungstheorien im Sprachunterricht

Arbeit an der Zukunft im Deutschunterricht 

14.00-14.45

Wilhelm Trampe: Deutschdidaktik für eine nachhaltige Entwicklung

14.45-15.30 Fritz Kempas / Natalia Sarota / Farriba Schulz: Children’s Literature for Future – Perspektiven von Lehramtsstudierenden auf Handlungsfelder des Anthropozän im Literaturunterricht der Primarstufe zwischen Ecocriticism und Ecopedagogy
15.30-15.45 Bei Bedarf: Zusätzliche und abschließende Diskussion

 Abstracts der einzelnen Vorträge