Plenarvortrag 2: „Widerstand mit vielleicht veralteten Mitteln“ − Literatur. Bildung. Politik.
Werner Wintersteiner (AAU Klagenfurt)
Dienstag, 20.9.2022 9.00-9.45, Audimax
’Political education’ —the cultivation of the virtues, knowledge, and skills
necessary for political participation—
has moral primacy over other purposes of public education.
(Gutmann 287)
Die Covid-Krise, die Klimakatastrophe, der schreckliche Krieg in der Ukraine rücken die Notwendigkeit demokratiepolitischer Bildung in drastischer Weise wieder in den Vordergrund. Denn „Demokratie ist die einzige politisch verfasste Gesellschaftsordnung, die gelernt werden muss – immer wieder, tagtäglich und bis ins hohe Alter hinein“ (Negt 2010, 13). Und wir brauchen eine aktive Demokratie, um die Herausforderungen der Gegenwart zu bewältigen.
Der Deutschdidaktik kommt dabei, vielleicht mehr, als ihr im Allgemeinen bewusst ist, eine Schlüsselrolle zu. Der Deutschunterricht verdankt historisch gesehen politischen Zielsetzungen seinen Aufstieg als Leitfach im schulischen Fächerkanon; die moderne Deutschdidaktik hat sich in den 1970er Jahren in explizit politischer Absicht von der Deutschmethodik abgesetzt; die Beschäftigung mit Sprache, Literatur und Medien ist eine naturgemäß politische Angelegenheit. Umso wichtiger ist es, dass die Deutschdidaktik ihre politische Dimension umfassend wahrnimmt und reflektiert.
Das Politische sollte jedoch nicht nur als Inhalt des Unterrichts, sondern als Herausforderung für das Selbstverständnis des Faches verstanden werden.
Das Politische ist kein zusätzliches Arbeitsfeld des Deutschunterrichts, wie z.B. das Barock oder die Textgrammatik. Das Politische ist eine Dimension aller Arbeitsfelder.
Das Politische ist, bevor es überhaupt Dimension der verschiedenen Arbeitsfelder werden kann, Bestandteil der Rolle der Deutschlehrer*innen (wie aller anderen Lehrkräfte).
Deutschdidaktik hat die Funktion einer kritischen Reflexionsinstanz gegenüber bildungspolitischen Vorgaben und Zumutungen.
Politische Bildung im Deutschunterricht kann sich, in ihren Inhalten und Methoden, an der Literatur selbst orientieren. Literatur ist eine unaufdringliche und attraktive Ressource für politisches Lernen. Sie ist, mit Ernst Jandl (1975), „Widerstand mit vielleicht veralteten Mitteln“. Doch es scheint, als wären gerade diese veralteten Mittel wieder besonders zeitgemäß.
Literatur:
Gutmann, Amy (19992): Democratic education. Princeton: Princeton University Press.
Jandl, Ernst u. a. (1975): „Literatur ist Widerstand mit vielleicht veralteten Mitteln“. In: Michael Krüger/Klaus Wagenbach (Hrsg.): Tintenfisch 8. Jahrbuch für Literatur. Berlin, S. 82-90.
Negt, Oskar (2010): Der politische Mensch. Demokratie als Lebensform. Göttingen: Steidl.
Kontakt: Werner.Wintersteiner@aau.at
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