Panel 4: Literaturunterricht als (Re-)Produzent sozialer Ungleichheit

Moderatoren: Marco Magirius (Eberhard Karls Universität Tübingen), Daniel Scherf (PH Heidelberg)

Dienstag, 20.9.2022 10.15-12.30, Seminarraum 6

In der aktuellen literaturdidaktischen Wissensproduktion spielen Themen wie Gender, sexuelle Orientierung und Inter- bzw. Transkulturalität (zu Recht) eine bedeutende Rolle. Die Aspekte sozioökonomische Ungleichheit sowie Klassenunterschiede und ihre Relevanz für resp. Bearbeitung im Literaturunterricht sind u. E. dagegen wenig repräsentiert. 

Dies ist aus folgenden Gründen verwunderlich: 

  • Der Umgang des Individuums mit Literatur wurde vonseiten der Lesesozialisationsforschung bereits vor etlichen Jahren als schichtabhängig modelliert (vgl. z.B. Groeben & Schroeder 2004); auch sich schulformspezifisch unterscheidende Umgangsweisen mit literarischen Gegenständen wurden zuvorderst in Bezug auf Klassenunterschiede gedeutet (vgl. Pieper et al. 2004). Lange bevor der Begriff der ‚(PISA )Risikogruppe‘ geprägt war, wurde (literarischer) Leseförderung angesichts milieubedingt ungleicher Start- und Lernbedingungen von Schüler*innen im Lese- und Literaturunterricht eine kompensatorische Funktion zugeschrieben (vgl. Hurrelmann 1994). 
  • Es ist davon auszugehen, dass gerade die Fähigkeit zum interpretativen Umgang mit Literatur auch derzeit am ehesten über habitus- und folglich milieuabhängige Enkulturationsprozesse ausgebildet wird (vgl. Magirius 2020, 39ff). Literaturunterricht würde damit aufgrund der in ihm thematisierten Gegenstände in besonderem Maße Differenzen und Dominanzverhältnisse (re-)produzieren. 

Das Panel hat – nach einer kurzen Einführung – zum Ziel:

  1. Mit drei je 20-minütigen Vorträgen von (1) Dr. S. Volz (2) Prof. Dr. V. Heller (3) Prof. Dr. C. Herz, siehe Abstracts,
  2. unterschiedlichen Forschungsperspektiven auf die skizzierte Problemlage Raum zu geben. Aktuelle gesellschaftstheoretische sowie empirische Erkenntnisse zum Themenkomplex soziale Ungleichheit und Literaturunterricht werden hier zusammengeführt. 
  3. In einer 25-minütigen Debatte die vorgetragenen Erkenntnisse zu diskutieren sowie Problemlösungsperspektiven aufzuzeigen. Unterschiedliche normative Standorte werden von Dr. M. Steinbrenner (Luzern; im Hinblick auf literarische Bildung in einem weiten Sinne), Prof. Dr. K. Maiwald (Augsburg; im Hinblick auf den Erwerb literarästhetischer Kompetenzen) sowie Prof. Dr. A. Müller (Mainz; im Hinblick auf Sprachförderung) eingebracht. 

Literatur:

Groeben, N. & S. Schroeder (2004). Versuch einer Synopse: Sozialisationsinstanzen – Ko-Konstruktion. In: N. Groeben & B. Hurrelmann (Hg.): Lesesozialisation in der Mediengesellschaft. Ein Forschungsüberblick. Weinheim: Juventa, 306-348.

Magirius, M. (2020). Überzeugungen Deutschstudierender zum Interpretieren literarischer Texte. Stuttgart: J. B. Metzler.

Pieper, I. et al. (2004). Lesesozialisation in schriftfernen Lebenswelten. Lektüre und Mediengebrauch von HauptschülerInnen. Weinheim. Juventa.

Hurrelmann, B. (1994). Leseförderung. Praxis Deutsch 21 (127), 17–26.

Kontakt: marco.magirius@uni-tuebingen.de, scherf@ph-heidelberg.de

 Abstracts der einzelnen Vorträge